Luftfahrt im Fokus

03. Dez. 2021

Pandemie erhöht den Druck auf die QM-Prozesse

Die zivile Luftfahrt findet langsam aus der Corona-Krise heraus. Allerdings bedeuten das Hochfahren der Fertigung und die Reaktivierung geparkter oder stillgelegter Flugzeugflotten einen erheblichen Lieferdruck. Wichtiger denn je ist ein exaktes Änderungs- und Konfigurationsmanagement.

Keine zwei Jahre sind vergangen, als die Luftfahrtindustrie mit vollen Auftragsbüchern an der Kapazitätsgrenze fertigte. Eine Trendwende war kaum absehbar. Jährlich sollten sich die Passagierzahlen verdoppeln – bis auf acht Milliarden Fluggäste im Jahr 2037. So wurden auch die Luftfahrtbetriebe von der Corona-Pandemie völlig unvorbereitet getroffen. Ein Großteil der Flugzeugflotten musste am Boden geparkt, gelagert oder stillgelegt werden. Dies ließ nicht nur die Fertigung im Bereich der zivilen Luftfahrt einbrechen. Der Dominoeffekt erfasste die Airlines, die Hersteller und nahezu jeden Zulieferbetrieb.
Umsatzeinbrüche und Planungsschwierigkeiten belasten die Branche weiterhin sehr stark. Qualitätssichernde Prozesse, eine hohe Liefereffizienz und das Konfigurationsmanagement müssen daher das Gebot der Stunde sein. Sobald die Airlines ihre Flotten im größeren Umfang reaktivieren, die Hersteller ihre Produktion wieder hochfahren, werden die Entwickler und Teilelieferanten durch einen beträchtlichen Lieferdruck herausgefordert sein. Entscheidend sind daher: ein engmaschiges QM-System mit Eigen- und Fremdüberwachungen sowie ein exaktes Änderungs- und Konfigurationsmanagement.

Reaktivierung und Klimaschutz setzen hohe Maßstäbe

Dass jedes Flugzeug in gewisser Weise ein Prototyp ist, hat Folgen für die Instandsetzungsroutinen und Werkstattflügen. Werden die Maschinen reaktiviert, sind Qualitätsnachweise, die Dokumentationen und die Rückverfolgbarkeit des Materialflusses auch bei hohem Handlungsdruck unbedingt einzuhalten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Hauptgruppen einer Serie durch die komplexe Einzelfertigung für Flugwerk, Antriebstechnik oder Ausrüstungskomponenten meist nicht exakt baugleich sind.
Zwar sind die konstruktiven Beschaffungsanforderungen jedes Bauteils mit Zeichnungen, Dokumentationen und Revisionsständen zu definieren, um beim Wareneingang eine verlässliche Lieferantenkontrolle zu gewährleisten. Doch die Praxis zeigt, dass die Anforderungen im Beschaffungsprozess nicht im vollen Umfang exakt spezifiziert sind. Vieles wird gegenüber dem Lieferanten noch als „to-be-discussed“ offengehalten. Hinzu kommt, dass im Kontext Klimaschutz und nachhaltiges Fliegen sehr komplexe Technologien für eine höhere Treibstoffeffizienz und Triebwerksleistung weiter vorangetrieben werden. Im Mittelpunkt stehen Entwicklungsthemen wie Wasserstoffantriebe, Brennstoffzellenkonzepte sowie eine längere Haltbarkeit von Komponenten. Dieser Innovationsdruck lässt die Anforderungen an die Komponenten und Konfigurationseinheiten und damit auch an das Konfigurationsmanagement steigen.

Weichenstellung mit dem Konfigurationsmanagement

Mit Blick auf das angespannte Branchenumfeld erweist sich das Konfigurationsmanagement mehr denn je als zentrales Element im Qualitätssicherungssystem eines Luftfahrtbetriebs.
Häufig werden Lieferanten mit Überschussinformationen konfrontiert, die für die eigentlichen Produktmerkmale oder Dienstleistungen nicht relevant sind. Diese Problematik könnte sich verstärken, wenn die gesamte Luftfahrtbranche die Fertigung wieder mit Hochdruck hochfährt.
Durch die systematische Steuerung der Kundenanforderungen in den verschiedenen Hauptgruppen- und Konfigurationsebenen bis hin zu den Stücklisten des Flugzeugprogramms (Rumpf, Triebwerke, Tragflächen etc.) können die Zulieferbetriebe ihre Widerstandsfähigkeit stärken. Gerade wenn die krisengebeutelten Betriebe neue Abnehmerbranche erschließen, um bisherige wirtschaftliche Abhängigkeiten von einem Hersteller oder Modell zu reduzieren, ist das Konfigurationsmanagement für die eigene Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit grundlegend.
Qualitätssicherheit über die gelieferten Teile zu gewinnen, setzt voraus, dass eine eindeutige Bezugskonfiguration und eine sogenannte beherrschte Umgebung vorliegen. Die Luftfahrtnorm DIN EN 9100 verlangt: „Die Organisation muss die Prozesse planen, umsetzen und lenken, die, angemessen für die Organisation und das Produkt, notwendig sind, um die Produktsicherheit während des gesamten Produktlebenszyklus sicherzustellen.“ Beispiele dieser Prozesse sind:
  • die Bewertung von Gefährdungen und die Steuerung der zugeordneten Risiken;
  • die Lenkung sicherheitskritischer Einheiten;
  • die Analyse und Berichterstattung die Sicherheit betreffende, eingetretene Ereignisse;
  • die Kommunikation dieser Ereignisse und Ausbildung von Personen.

Praxistipp

Technische Beschreibungen und Änderungen sind für die Freigaben durch den Abnehmer oder auch für behördliche Genehmigungen exakt nachzuhalten. Das Konfigurationsmanagement gründet auf vier Säulen: Identifikation, Überwachung, Dokumentation und Audit. Sie sind die Grundpfeiler für die normgerechte Produktsicherheit während des gesamten Produktlebenszyklus.
Die erste Säule „Identifikation“ verlangt, dass die wichtigsten Einheiten hierarchisiert, definiert und mit Parametern trennscharf voneinander abgegrenzt und mit einer eindeutigen Nummerierung zur Rückverfolgung versehen werden. Die drei weiteren Säulen lauten Überwachung, eine umfassende Dokumentation der Konfiguration mit sämtlichen Änderungen sowie das Audit.
In der Praxis sollte mindestens monatlich abglichen werden, ob sich bei den erforderlichen funktionellen und physischen Merkmalen des Kundenprojekts etwas geändert hat. Nicht selten kommt es vor, dass nur unregelmäßig der eigene Produktionsfortschritt mit den aktuell geforderten Merkmalen des Auftraggebers abgeglichen wird. Folglich ist nicht sichergestellt, ob die gelieferte Einheit und die technische Dokumentation tatsächlich den neuen, geänderten funktionalen und physikalischen Anforderungen entsprechen.
Auch kleine Betriebe sind gut beraten, jederzeit mit einer Datenbank einen Überblick über die aktuellen Konfigurationsdokumente und die Bezugsvorgaben des Kunden zu haben. Sind Bestellanforderungen unspezifisch oder unvollständig, kann nicht nur die Begleitdokumentation von den Vorgaben abweichen, sondern die Komponenten selbst laufen Gefahr, nicht mehr mit den Konstruktionszeichnungen übereinzustimmen. Den Wareneingang in diesen Fällen auf Konformität zu überprüfen, ist äußerst aufwändig. Andernfalls muss die Lieferung in das Sperrlager. Um Störungen im Lieferprozess zu vermeiden, helfen Audits. Experten verschaffen sich einen Eindruck, ob die technische Realisierung der Bezugsbeschreibung, die definierten Leistungen und Änderungsanträge erfüllen. Darüber hinaus wird bewertet, ob die Konfigurationsbeschreibung auch dem aktuellen Stand der Technik entspricht.